Zuchtfortschritt

Zuchtfortschritt

Entschlüsselung von Nutzpflanzengenomen – viel Nutzen für die Landwirtschaft

1977 entwickelte der britische Biochemiker Frederick Sanger ein Verfahren zur Auslesung von DNA-Sequenzen an einem Virus-Genom. Das Prinzip der DNA-Sequenzierung* hat Forscher auf der ganzen Welt elektrisiert: Sangers Methoden sollten besser und schneller werden, um die Genome komplexer Lebewesen entschlüsseln zu können. Was dies der Pflanzenzüchtung und damit der Landwirtschaft bringt, erläutern Dr. Martin Mascher und Dr. Marina Püpke Marone vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung.

Das große Ziel – die vollständige Sequenzierung des menschlichen Erbguts (Genom)– gelang im Jahr 2000. Eigentlich hätte nach dem menschlichen Genom das Erbgut von Pflanzen und Tieren in den Fokus rücken sollen. Allerdings war das Humangenomprojekt vergleichbar mit der amerikanischen Mondlandung: ein wissenschaftlich-technologischer Paradigmenwechsel und auch ein Multi-Milliarden-Dollar-Leuchtturmprojekt. Humangenetiker betonen stets die Bedeutung der Erbgutanalyse für die medizinische Forschung. Die Pflanzengenetik hat diese Argumentation nicht – und damit stehen auch entsprechende Fördertöpfe nicht zur Verfügung.

Ohne den technologischen Fortschritt der letzten 20 Jahre würden Gerstengenetiker immer noch in mühevoller Kleinarbeit die Sequenz einzelner Gene zusammensetzen. Mithilfe der Hochdurchsatzsequenzierung jedoch können mittlerweile Billionen von Basenpaaren innerhalb von 24 Stunden ausgelesen werden! Nur weil wir solche riesigen Datenmengen in kürzester Zeit erheben können, konnten wir die Genome der Kulturgetreidearten Weizen, Gerste, Roggen und Hafer und der Hülsenfrucht Ackerbohne sequenzieren – allesamt jeweils größer als das menschliche Genom.


zum Vergrößern bitte Anklicken; Erbgutanalysen für die Pflanzenzüchtung
zum Vergrößern bitte Anklicken; Erbgutanalysen für die Pflanzenzüchtung


Entschlüsselung von Nutzpflanzengenomen bringt z. B. die Resistenzzüchtung voran

Die Entschlüsselung von Nutzpflanzengenomen hat auf der ganzen Welt neue Arbeitsfelder eröffnet. Die Pflanzenforschung kann heute Fragen angehen, deren Beantwortung vor Kurzem noch undenkbar war. Molekulare Baupläne von Weizenähren werden ergründet und genomische Marker können den Selektionsprozess in der Pflanzenzüchtung beschleunigen. Ziel der viel verwendeten Genkartierung ist es, Gene zu identifizieren, die landwirtschaftlich bedeutsame Merkmale beeinflussen. Die beeindruckendsten Erfolge wurden bei der Kartierung und Isolation von Resistenzgenen erzielt. Bei der Resistenz gegen Viren und Pilze besteht eine Gen-gegen-Gen-Beziehung zwischen Krankheitserregern und Wirt: Ein Gen (bzw. dessen Proteinprodukt) erkennt das Protein des Pathogens und leitet eine Resistenzantwort ein. Also kann ein einzelnes Gen einen großen Einfluss auf den Phänotyp haben.


Erforschung der Genfaktoren komplexerer Merkmale ist schwieriger

Merkmale wie Blühzeitpunkt, Wuchshöhe und Ertrag werden aber von vielen Genen beeinflusst, deren Wirkung zusätzlich von Umweltbedingungen abhängt. Selbst wenn es uns gelingt, einzelne genetische Faktoren zu identifizieren, die ein Merkmal in experimentellen Populationen kontrollieren, verschwindet dieser Effekt unter Feldbedingungen. Es ist also noch ein weiter Weg von der Genomsequenzierung und der Kartierung vielversprechender Gene zu neuen, ertragreicheren Sorten. Auch die Auswirkungen der Umweltbedingungen auf die Funktionsweise der Gene im Rahmen der Proteinbiosynthese können nicht aus Genomsequenzen vorhergesagt werden. Hier sind weitere molekulare Arbeiten im Labor und in Feldversuchen erforderlich.


Der Reifezeitpunkt wird von mehreren Genen beeinflusst und von  der Umwelt.
Der Reifezeitpunkt wird von mehreren Genen beeinflusst und von der Umwelt.


Statistische Modelle basieren auf der Beziehung Genotyp-Phänotyp

Bevor es so weit ist, unterstützt die genomische Selektion die Züchtungsarbeit. Hier wird nicht viel Wert auf einen einzelnen genetischen Faktor gelegt, sondern Phänotypen werden anhand eines statistischen Modells vorhergesagt, das auf genomweiten Daten basiert. Basis bilden genomische Daten und die Phänotypen einer relativ kleinen Gruppe von Zuchtlinien (100–1.000). Mit der genomischen Selektion können Phänotypen in einer breiteren Gruppe von Zuchtlinien ausschließlich auf der Grundlage genomischer Informationen vorhergesagt werden. Diese vergleichsweise günstige Methode kann die Menge der züchterisch untersuchten Linien erweitern und so die Entwicklung neuer Sorten beschleunigen.


Ein Schwerpunkt der Genomforschung: die Nutzbarmachung genetischer Diversität

Durch die schnelle und kostengünstige Genomanalyse können wir die genetische Diversität unserer Nutzpflanzen systematisch erfassen. Dazu braucht es die Kulturpflanzensortimente in Genbanken. Die bundeszentrale Genbank landwirtschaftlicher und gärtnerischer Kulturpflanzen befindet sich am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Genbanken bewahren keine Gene, sondern Saatgutmuster auf (= pflanzengenetische Ressourcen). Der Begriff der pflanzengenetischen Ressource ist eng verknüpft mit dem der Biodiversität.

Wenn Lebensräume zerstört werden, geht biologische Vielfalt verloren. Auch die Diversität landwirtschaftlicher Ökosysteme hat sich seit Beginn der industriellen Revolution gewandelt. Maschinisierung, chemischer Pflanzenschutz und mineralische Düngung haben alte Kulturarten wie Hafer und Hülsenfrüchte ins Abseits gedrängt. Auch bei fast allen anderen Nutzpflanzen haben Elitesorten traditionelle Landrassen ersetzt.


Genbanken sind treue Hüter der Diversität

In den Anfangsjahren der Umweltbewegung rief der australische Genetiker Sir OTTO Frankel dazu auf, die Bewahrung pflanzengenetischer Ressourcen als evolutionäre Verpflichtung der Menschheit anzusehen. Für Frankel waren Genbanken nicht nur Museen der Kulturpflanzenevolution. Für ihn war ebenso wichtig, dass genetische Variation das Rohmaterial für den züchterischen Fortschritt darstellt. Es ist also auch das langfristige Ziel, pflanzengenetische Ressourcen für die Züchtung zu erschließen.


Wie können wir alte Landrassen finden, die für Nutzpflanzen wertvolle Gene tragen?

Ein erster Schritt ist die sammlungsweite Genomsequenzierung. Am IPK Gatersleben haben wir einen Atlas der genetischen Variation erstellt, der fast alle unsere Gersten- und Winterweizenmuster umfasst. Dieser Datensatz erleichtert die Arbeit unseres Kuratoriums: z. B. die Korrektur von Herkunftsdaten oder die Nachverfolgung der genetischen Identität von Saatgut. Es ist eine große Herausforderung, aus den DNA-Sequenzen den zukünftigen Wert – beispielsweise einer alten Sorte – für die Züchtung zu bestimmen. Züchtungsforscher und Genbankkuratoren am IPK Gatersleben konnten bereits mit unseren genomischen Daten und statistischen Modellen Landrassen identifizieren, deren Einkreuzung in Elitesorten deren Ertragspotenzial erhöht.


Ausblick

Die nächste große Aufgabe ist die tiefgehende genomische Charakterisierung der Gersten- und Weizensortimente. Landrassen aus der ganzen Welt und verwandte Wildarten der Kulturgetreide sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Auch anderen Kulturarten wie Hafer, Hülsenfrüchten und Futtergräsern wollen wir mehr Aufmerksamkeit schenken. Die Digitalisierung der Genbank und insbesondere digitale Sequenzinformation wird den Wert unseres Kulturpflanzensortiments vervielfachen!

*DNA-Sequenzierung bedeutet, dass die Reihenfolge (Sequenz) der Bausteine aufgeklärt wird.


Schnell gelesen (Kurzfassung):

In den letzten zwei Jahrzehnten ermöglichte der technologische Fortschritt die rasche Sequenzierung von Genomen bedeutender Pflanzenarten wie Weizen, Gerste, Roggen und Hafer. Dies führte zu bahnbrechenden Fortschritten in der Resistenz- und Merkmalszüchtung.

Die Pflanzenforschung profitiert von der Entschlüsselung durch die Identifikation landwirtschaftlich relevanter Gene und von der Beschleunigung des Selektionsprozesses. Während Resistenzgene erfolgreich kartiert wurden, bleibt die Erforschung komplexerer Merkmale wie Blühzeitpunkt und Ertrag anspruchsvoller, denn diese werden von vielen Genen und zusätzlich in ihrer Ausprägung stark von der Umwelt beeinflusst. Die genomische Selektion, basierend auf statistischen Modellen, prognostiziert Phänotypen und beschleunigt die Sortenentwicklung.

Die Genomanalyse ermöglicht auch die systematische Erfassung genetischer Diversität in Nutzpflanzen. Genbanken, wie das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, bewahren pflanzengenetische Ressourcen als evolutionäres Erbe. Der Verlust biologischer Vielfalt durch Umweltveränderungen betont die Bedeutung dieser Genbanken. In der Zukunft wird die tiefgehende genomische Charakterisierung von Sortimenten, insbesondere von Gerste und Weizen sowie anderer Kulturpflanzen, durch Digitalisierung und Sequenzinformationen den Wert dieser genetischen Ressourcen weiter steigern.